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Führung. Aber bitte auf Holländisch!

Holländische Berufsoptimisten versus deutsche Besitzstandswahrer. Ein Interview mit Anouk Ellen Susan – Teil 1

Mein Interviewgast für diesen Blogbeitrag ist Anouk Ellen Susan. Sie spricht mit mir darüber, wo die größten kulturellen Hürden, aber auch wo die Chancen in der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Holländern liegen. Wir haben uns das Thema Führung aus dem Blickwinkel dieser Kulturen vorgenommen.

Als Niederländerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, kennt Anouk Ellen Susan beide Seiten der Medaille. Seit ihrem 16ten Lebensjahr arbeitet sie in und mit deutsch-niederländischen Firmen, und weiß um die Herausforderungen und Chancen von gemischten Teams.

Sie spricht darüber, warum Niederländer gemocht werden wollen und warum Hierarchien eher als störend empfunden werden.

Anouk Ellen Susan

Die 5 Unterschiede mit dem größten Knalleffekt:

  • Respekt durch Leistung nicht durch den Titel
  • SPRING! der Deutsche fragt: wie hoch? – der Holländer fragt: Warum?
  • Duzen oder Siezen? Risiken und Nebenwirkungen
  • Ein Wort ohne Bedeutung: Standesdünkel
  • Führungskraft in Holland: Diplomat – Netzwerker – Coach

In Holland ist das Thema Respekt anders belegt als bei uns

In der niederländischen Mentalität spielt Gleichheit eine große Rolle – auch oder gerade im Business. Flache Hierarchien sind viel wichtiger als Titel. Die Haltung „Ich bin der Chef und deswegen machen Sie was ich sage“ ist in Holland undenkbar. Die niederländische Ungezwungenheit wird in Deutschland gerne als unstrukturiert und disziplinlos verurteilt.  Holländern wird eine gewisse Laissez-faire-Führungskultur nachgesagt, doch damit tun wir ihnen unrecht. Trotzdem hält sich dieses Vorurteil standhaft. 

Egal ob jemand im mittleren Management oder als Vorstand in einer Organisation anfängt. Die Kompetenzvermutung nur aufgrund eines gutklingenden Titels oder großen Firmenwagens greift hier nicht. Es wird grundsätzlich erstmal jede Entscheidung hinterfragt.   Darum ist es in Holland sehr viel schwieriger sich als Direktor oder Chef einen respektierten Namen zu machen, als in Deutschland. Weil erstmal nur die Leistung und das erreichte Ergebnis zählt. Ihnen wird Anerkennung entgegengebracht wenn sie bewiesen haben das sie es können, nicht wegen eines Titels auf der Visitenkarte.

Die Bezeichnung „Respektsperson“ ist in Holland verpönt

„Für uns in Deutschland ist Respekt etwas Tolles. Niederländer wollen nicht unbedingt Respekt haben, Niederländer wollen gemocht werden. Das Thema Respekt ist in den Niederlanden anders behaftet als bei den Deutschen. Die Bezeichnung „Respektsperson“ hat in den Niederlanden ein „Geschmäckle“. 

Anouk Ellen Susan

SPRING!

Jeder hat was zu sagen, und jeder wird auch gehört. In niederländischen Unternehmen wohlgemerkt!

Ein Deutscher mittleren Alters, mit einer eher konservativen Erziehung, der von seinem Vorgesetzten aufgefordert wird zu „springen“ wird höchstwahrscheinlich erst einmal fragen: wie hoch? oder wie weit?

Ein Niederländer, der die gleiche Aufforderung erhält, geht ganz offen in das Thema rein. Er will wissen, warum er springen soll. Was genau ist der Grund dieser Entscheidung? Und ist die Entscheidung wirklich optimal?

Ein niederländischer Mitarbeitender hört per se nicht darauf, dass er gerade eine Anweisung erhalten hat, sondern er hinterfragt. Jeder der möchte kann mitreden. Und jeder hat auch etwas dazu zu sagen und will gehört werden.

Für diesen kreativen Austausch wird in den Niederlanden das Wort „Poldern“ benutzt.

Anouk Ellen Susan

Das ist die Kultur der Niederländer. Für Führungskräfte, die das gut händeln können kann es sehr entspannend sein, diese verschiedenen Meinungen nicht als bedrohlich zu empfinden. Der Praktikant darf genauso mitreden und wird ganz selbstverständlich mit ins Boot geholt wie der Chef.

Für Deutsche ist das ein gewöhnungsbedürftiger Unterschied. Und wahrscheinlich die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit mit Niederländern.

Duzen oder Siezen?

Risiken und Nebenwirkungen

Als ich als junge Frau im Unternehmen angefangen habe, hat der Direktor des Unternehmens sofort zu mir gesagt: „hallo, ich bin der Jos“. Und wenn man jung ist und dann auf einmal zu  hören kriegt, dass man den Director Commercial duzen soll, dann ist das erstmal sehr unüblich für uns hier in Deutschland. Ich bin ja sogar schon in der Schule gesiezt worden.

Auch wenn in Holland in 99 Prozent der Unternehmen und Organisationen ganz selbstverständlich geduzt wird, ist das nicht mit unserem deutschen Du gleichzusetzen. In den Niederlanden ist es erstmal üblich einen gemeinsamen Kaffee zu trinken.

In einem Gespräch werden auch beim ersten Treffen gleich sehr persönliche Fragen gestellt, z. B. wer ist dein Partner? Hast du Kinder? Das verleitet dazu, sehr schnell persönlich zu werden, sich auszutauschen und aus dem Nähkästchen über Dinge zu plaudern, die man in einer Sie-Kultur so nicht besprechen würde.

Hier kommt wieder „das gemocht werden wollen“ zum Vorschein.

Ich habe in einer Eventagentur gearbeitet. Die beiden Chef´s dort hießen Rob und Rob – zwei Holländer. Die Projekte in unserer Agentur umfassten mehrere Millionen Euro. Wenn die beiden dann in den Süden zu einem Automobilhersteller gefahren sind und die Vorstände dort mit Vornamen angesprochen haben, hast du in den Gesichtern der Umstehenden erstmal gesehen: Oh Gott, wie trauen die sich das?“

Aber die fanden das eher lustig – alle wollten nur mit Rob und Rob arbeiten.

Anouk Ellen Susan

Das bedeutet für einen Niederländer allerdings nicht, dass er automatisch dein Freund ist nur weil er per Du mit dir ist, und das wissen die Niederländer sehr gut untereinander zu verstehen. Sie sind zwar eine Du-Kultur, aber deswegen noch lange nicht freundschaftlich verbunden.

Das äußert sich spätestens bei Verhandlungen. Da können Niederländer knallhart sein, auch wenn man sich vorher nett geduzt, Kaffee oder ein Bierchen gemeinsam getrunken, und locker über die Familie und die künftigen Pläne geplaudert hatte. Hier kommt die Händlernatur der Niederländer zum Vorschein, die sie durch ihre jahrhunderte alte Handelstradition im Blut haben. Spätestens jetzt verstehen sie absolut keinen Spaß mehr. Deswegen eilt ihnen auch der Ruf voraus, geizig zu sein.

Durch die Tatsache, dass Niederländer seit mehreren 100 Jahren im weltweiten Handel unterwegs sind, liegt ihnen das Verhandeln im Blut. Ich würde sie auch vielleicht ein bisschen geizig nennen, oder wie wir auf Niederländisch sagen: „Das Unterste aus der Kanne hervorholen, was hervorzuholen geht.“

Anouk Ellen Susan

Standesdünkel. In den Niederlanden eine bedeutungslose  Worthülse

Ein hochrangiger deutscher Entscheidungsträger, der in ein Unternehmen in die Niederlande kommt, wird ein Gegenüber auf Augenhöhe erwarten.  In den Niederlanden ist es jedoch so, dass nicht unbedingt der hierarchisch gleichgestellte Chef oder Chefin mit am Tisch sitzt. Sondern der oder die Mitarbeitenden, die im Fachinhaltlichen am tiefsten drin sind, haben auch am meisten mitzureden. Führung und Fachkompetenz sind auf mehreren Schultern verteilt. Im Zweifel setzt sich die Fachkraft bei der Entscheidung durch.

Das ist für Deutsche sehr gewöhnungsbedürftig, weil so eine Vorgehensweise hier noch eher die Ausnahme ist. In Deutschland ist es häufig so, dass die Führungskraft gleichzeitig der- oder diejenige ist, die die meiste Kompetenz im Thema hat und deshalb die Entscheidung mehr oder weniger autark treffen kann. Ein Umstand der eine hohe Verhandlungsmacht aber auch unglaublich hohen Druck verursacht.

Diplomat – Netzwerker – Coach
Das Dreigestirn in der holländischen Führung

„Niederländische Führungskräfte sind sehr gut darin, den Fachkräften auch mal die Entscheidung zu überlassen. Sie können gut delegieren und sie können auch das Wissen, das Mitarbeiter:innen haben, absolut auch wertschätzen und als bereichernd empfinden.“

Anouk Ellen Susan

Die Führungskraft führt, die Fachkraft hat die fachliche Kompetenz – so weit so gut. Was ist dann aber in holländischen Unternehmen die eigentliche Aufgabe der Führungskraft?

Diplomatie, netzwerken und coachen. Die Firma positionieren, nach außen repräsentieren und ganz klar die Strategie und die Richtung aufzeigen. Die unterschiedlichen Charaktere im Team optimal einsetzen und die anstehenden Aufgaben mit den dafür am besten geeigneten Personen besetzen.

Holländische Vorgesetzte haben wenig Probleme damit, anderen die Entscheidung zu überlassen. Sie können den Einsatz und das Wissen der Mitarbeiter:innen absolut wertschätzen. Aufgaben zu delegieren stellt für sie kein Problem dar. Hier kommt ihnen ihre Wir-Kultur zugute.

Fazit: dem Vorurteil das Niederländer permanent im Gute-Laune-Modus uneffektiv auf Kuschelkurs in Unternehmen unterwegs sind, kann widersprochen werden. Sie können deutschen Führungskräften durchaus das Wasser reichen.

Wohingegen deutsche Manager und Managerinnen sich Im Großen und Ganzen in manchen Bereichen eine Scheibe abschneiden, und sich inspirieren lassen könnten.

Im zweiten Teil dieses Gespräches gehen wir diesen Punkten auf den Grund:

  • Grenzpendler: Deutschland / Niederlande
  • Charmant wie eine kalte Dusche
  • Gemischtes Doppel: Deutsche & Niederländer in einem Team
  • Deutsche Gründlichkeit vs. niederländisches Improvisationstalent
  • Job & Familie: In Holland klappt´s
  • Typisch Deutsch: Zuverlässigkeit

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Silke Küstner